Autorin: Rebecca Hanker
Wann hast du das letzte Mal verhandelt? Zugegeben, die meisten von uns denken bei Verhandlungen an Gerichtssäle, Tarifverhandlungen oder weitreichende Fusionen in der Wirtschaft. Aber wir alle verhandeln. Oft weniger spektakulär, dafür jeden Tag. Auch wenn uns das vielleicht nicht immer bewusst ist.
Eine Verhandlung beginnt genau dort, wo mehrere Beteiligte mit unterschiedlichen Interessen eine Einigung zum Ziel haben. Und das haben wir doch alle. Ständig. Über ganz unterschiedliche Dinge: die Schlafenszeit der Kinder, wer die Küche aufräumt, über unser Gehalt oder welche der erarbeiteten Lösungsoptionen nun als Entscheidungsvorlage dem Chef präsentiert wird.
Unser ganzes Leben besteht aus Verhandlungen. Das bedeutet aber nicht, dass wir es deshalb gut können. Leider. Zumindest nicht so gut wie Roger Fisher. Wer das ist? Dazu komme ich gleich. Aber vorher ein paar Worte, warum mir die Sensibilisierung für Verhandlungskompetenz so wichtig für gelingende Zusammenarbeit ist.
Verhandeln, das Herzstück erfolgreicher Zusammenarbeit
Ganz einfach, weil der kompetente Umgang mit entgegengesetzten Interessen maßgeblich dazu beiträgt, dass Zusammenarbeit nachhaltig gelingt. So viel ist mal sicher. Gerade im Arbeitsleben wird Verhandlungskompetenz daher immer wichtiger. Die Vernetzungsdichte und Berührungspunkte sind hoch, Hierarchien werden flacher, neue Führungsmodelle geben Verantwortung in selbstorganisierte, interdisziplinäre Teams. Konflikte sind Teil des Arbeitsalltags und damit die Grundlage vielfältiger und immerwährender Verhandlungssituationen.
Unterschiedliche Interessen müssen ernst genommen werden! Und die Verantwortung für den Prozess der Entscheidungsfindung ebenso, um Konflikte dauerhaft, konstruktiv und gewinnbringend zu lösen. Dafür braucht es aber mehr als unsere klassischen Strategien wie auf Biegen und Brechen durchsetzen, einknicken und nachgeben oder pures aussitzen. Es braucht echte Zusammenarbeit.
Die darf dann gern mal über den klassischen Kompromiss hinaus gehen. Genau der, wo jeder den Meetingraum verlässt und sich denkt: „Echt jetzt? Das war die bestmögliche Lösung, die drin war?“
Gute Verhandlungen haben das Potenzial, einem Konflikt Wert zu verleihen und ihn damit zu einem produktiven Prozess für alle Beteiligten zu machen und am Ende tragfähige Lösungen zu kreieren. Damit wird verhandeln für mich zum Herzstück von erfolgreicher Zusammenarbeit.
Das Harvard-Konzept
Und wie? Genau dafür holen wir einen Oldie but Goldie aus dem Keller. Moment. In irgendeiner Kiste lag doch dieses Buch. Ach ja, hier: Verhandeln nach dem Harvard-Konzept. Staub abgeklopft, Buch aufgeschlagen, los geht’s.
Und jetzt kommen wir auch zu dem Herrn Fisher. Fisher war der Mann hinter den Kulissen auf der internationalen Bühne, wenn es darum ging, Verhandlungsergebnisse zu erzielen, bei denen die gute Beziehung gewahrt bleiben und für beide Seiten der größtmögliche Nutzen herausverhandelt werden sollte. Heute kennen wir das unter dem Begriff Win-win.
Fisher unterstützte 1979 Jimmy Carter bei den Friedensverhandlungen zwischen Israel und Ägypten in Camp David, regte den Prozess über das Finden von Lösungsoptionen bei den Abrüstungsgesprächen zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow 1985 an und war Teil der Gespräche zum Ende der Apartheid in Südafrika 1991. Schon krass, oder?
Er gilt mit seinen Kollegen William Ury und Bruce Patton und dem Buch „Getting to Yes“ als Begründer des sogenannten Harvard-Konzepts. Eine bahnbrechende Abhandlung über Verhandlungstaktiken, die die Methodik von Verhandlungsführung aus der Praxis grundlegend veränderte. Ein echter Meilenstein, für den ich hier eine Lanze brechen möchte und Gegenentwurf zur Strategie des Durchsetzens. Warum Harvard? Weil sie Rechtswissenschaftler an der Harvard Law School waren und dort Ende der 70er ein Forschungsprojekt gründeten, mit dem Ziel, Theorie, Lehre und Praxis der Verhandlungsführung zu analysieren und weiterzuentwickeln. Was ihnen eindeutig gelungen ist.
Ihre Erkenntnisse sind heute noch genauso relevant wie damals. Und um die Verhandlungsmethode des Harvard-Konzepts gewinnbringend anzuwenden, dafür braucht es nicht erst den Superschurken aus dem Konkurrenzunternehmen als Verhandlungsgegner. Im Gegenteil. Dafür braucht es nicht mehr als Menschen, die zusammenarbeiten. Absolut alltagstauglich und genau deswegen gut.
4 Prinzipien (auch) für gute Zusammenarbeit
Im Mittelpunkt der Methode stehen vier Prinzipien, die perfekt geeignet sind, um sich davon auch eine Scheibe für gelingende Zusammenarbeit abzuschneiden.
Und wie ihr wisst: Wir lieben Prinzipien.
1. Prinzip: Trenne Menschen und Sachfragen
Ja, ich hadere mit dieser Formulierung. Weil sie für mich suggeriert, man könne sich in Verhandlungssituationen auf die Sachfragen konzentrieren und die menschliche Dimension außer Acht lassen.
Dabei ist damit etwas ganz anderes gemeint, nämlich das Verhandlungen immer auf zwei Ebenen stattfinden: der Sache, um die es geht und die Beziehung zum Verhandlungspartner. Wir verhandeln sozusagen beides. Während man in der Sache bestimmt bleiben kann, sollte die Beziehung nicht gefährdet werden: Hart in der Sache, sanft zum Menschen. Der Mensch wird also nie infrage gestellt. Wir neigen aber dazu, Sach- und Beziehungsfragen zu vermengen. So können als ursprünglich neutrale Beschreibungen gemeinte Sätze als persönlicher Angriff aufgefasst werden.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Auch bei hitzigen Diskussionen bleiben wir immer höflich und behandeln unser Gegenüber wertschätzend. Unsere Annahmen, die wir zweifelsfrei über unser Gegenüber haben, nehmen wir nicht als bare Münze. Sondern wir entwickeln daraus Hypothesen, die wir im Gespräch gezielt durch Fragen in Überprüfung bringen. Wir wissen nämlich nicht, was genau in der anderen Person vor sich geht. Aber statt genau zuzuhören, legen wir uns schon Gegenargumente im Kopf zu Recht und statt nachzufragen und ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, legen wir lieber unseren Standpunkt dar. Dabei sollte es darum gehen, die Sicht des anderen wirklich zu verstehen und die emotionale Bedeutung zu erspüren. Menschen verhalten sich in ihrer lokalen Rationalität nie falsch. Lieber paraphrasieren, was man verstanden hat, um basierend auf einem gemeinsamen Verständnis kritisch mit der Sachlage auseinandersetzen zu können. Oder wie siehst du das? Hast du dazu eine andere Sichtweise? Es sieht für mich so aus, als würdest du mir da zustimmen. Darf ich deine Punkte noch einmal zusammenfassen, um zu sehen, ob ich dich richtig verstanden habe? Mit etwas Übung ist das ein echter Türöffner für wertschätzende und kritische Auseinandersetzungen.
2. Prinzip: Stelle Interessen in den Mittelpunkt, nicht Positionen
In meinen Augen das wichtigste Prinzip. Wenn man nur über Positionen spricht, beginnt man oft automatisch zu feilschen oder landet in einer Sackgasse. Bei einer Position gibt es nämlich nur eine Lösung: Erfüllung der Position. Das kennt ihr vermutlich alle. Eine Position beschreibt das was mein Gegenüber möchte. Das Interesse dahinter beschreibt den Grund für die Position.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Wenn man die tatsächlichen Beweggründe hinter den Positionen öffnet (im Harvard-Konzept als „Interessen“ beschrieben, wir würden im CollaborationLab von „Bedürfnissen“ sprechen), können diese auf vielfältige Weisen in Erfüllung gebracht werden. Nehmen wir das klassische Beispiel einer Gehaltsverhandlung. Die Position wären 10% mehr Gehalt. Das Bedürfnis dahinter könnte der Wunsch nach einer höheren Wertschätzung und Anerkennung für die Arbeitsleitung sein. Dieses Bedürfnis könnte unterschiedlich in Erfüllung gebracht werden: eine zusätzliche Weiterbildung, Finanzierung einer Bahncard, ein neuer Titel, eine Bonuszahlung oder ein besprochener und klarer Fahrplan zum nächsten Karriereschritt. Es lohnt sich also, den Versuch zu wagen herauszufinden, welches Bedürfnis eigentlich hinter der Position steckt, um eine tragfähige Lösung zu kreieren. Ich sehe, du hast zu diesem Thema eine klare Position. Darf ich fragen, wie du zu dieser Position kommst? Was genau ist denn der Grund dafür?
3. Prinzip: Entwickele Optionen, von denen alle profitieren
Um konfliktäre Situationen zu befrieden, unterbreitet oft eine Seite ihren in ihren Augen glorreichen Lösungsvorschlag. Statt Dank und Anerkennung für den Einsatz erntet man aber einfach nur ein solides: „Nein“. Auch wenn der Vorschlag vielleicht gar nicht so schlecht war. Besser von Anfang an gemeinsam an der Lösungsfindung arbeiten.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen unterschätzen wir. Dabei sind Prozesse wie Brainstorming oder Brainwriting über mögliche Lösungen wichtig. Nur so können alle Beteiligten gleichermaßen Verantwortung für ein Ergebnis übernehmen. Weil sie Teil der Lösungsfindung sind. Natürlich hat jeder schon die präferierte Variante im Kopf. Aber macht euch davon frei.
Trennt im ersten Schritt Kreativität und Urteil. Jede Idee zählt. Sei sie noch so unrealistisch. Je mehr Ideen, desto besser. Damit erweitert ihr den Lösungsspielraum und hier könnt ihr natürlich auch euren ursprünglichen Vorschlag einbringen. Am besten ihr schaut dabei durch völlig unterschiedliche Brillen, nehmt verschiedene Perspektiven ein, auch gern mal die des Gegenübers. Ab jetzt seid ihr ein Problemlösungsteam. Erst sammeln, dann erst bewerten und entscheiden, welche Idee zu einer echten Lösung ausgearbeitet wird. Ganz wichtig. Und zugegebenermaßen auch sehr schwierig. Hast du für eine mögliche Umsetzung noch eine Idee?
4. Prinzip: Finde objektive Kriterien für Entscheidungen
Natürlich gibt es in der Realität Interessenskonflikte, die sich nicht leicht lösen lassen. Auf beiden Seiten kann es zwingende Gründe für harte Positionen geben. Was kann uns jetzt noch helfen? Das ist die entscheidende Frage, die es dann zu stellen gilt.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Gibt es objektive Standards oder Kriterien, die beide Seiten gleichermaßen akzeptieren können? Das können Gutachten, Präzedenzfälle, Gesetze, aber auch die Branchenpraxis oder Anstand und Moral sein oder auch ein unbeteiligter Dritter. Eventuell ein Kollege, dem beide vertrauen und der für seinen Fachverstand wertgeschätzt wird. Es geht darum, eine Lösung zu finden, die es allen ermöglicht, ohne Gesichtsverlust den Tisch zu verlassen, damit die gute Beziehung gewahrt bleibt und einer unbelasteten Zusammenarbeit in Zukunft nichts im Wege steht.
Und wer jetzt die BATNA vermisst, ja, die ist der Textkürzung zum Opfer gefallen. Und für alle, die jetzt gern wissen wollen, was denn diese BATNA ist, denen empfehle ich einen Blick ins Buch.
Die vier Prinzipien aus dem Harvard-Konzept jedenfalls haben große Wirkung und helfen garantiert dabei, euch wertschätzend, offen, auf Augenhöhe und lösungsorientiert zu begegnen. Es braucht Neugier und ein aufrichtiges Interesse an den Gedanken von anderen, um auf dieser Basis gemeinschaftlich mögliche Lösungen zu entwickeln. Ich bezeichne das immer gern als „Entdeckermentalität“. Für die eigenen Annahmen, für das Gegenüber und mögliche neue Wege der Zusammenarbeit. Leichter beschrieben als umzusetzen, aber probiert es gern aus. Es lohnt sich.
LabSample
1 Kommentar zu „Gute Zusammenarbeit ist Verhandlungssache!“
Danke Rebecca, ich arbeite als Anwältin für Kinder in Sorgerechtsstreitigkeiten und und kann bestätigen, daß unter Anwendung der Prinzipien des Havard-Konzepts die besten Lösungen für alle Beteiligten gefunden werden können. Wenn die Eltern in der Lage sind eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten ist diese dauerhaft tragfähig und entlastet die Kinder.