Blog 2023-03

Aus Prinzip!?

Autor: Christoph Bauer

„Ich mache das aus Prinzip.“ „Das ist vielleicht ein Prinzipienreiter!“ „Hier geht’s ums Prinzip!“ Was geht Euch durch den Kopf, wenn ihr diese Sätze lest? Vielleicht lösen sie Assoziationen von Engstirnigkeit und Inflexibilität aus. Vielleicht bewundert ihr Menschen, die ihren Prinzipien treu sind. Bei mir persönlich lösen die Sätze tatsächlich beide Assoziationen aus. Und doch würde ich mich immer für Prinzipien entscheiden. Warum das so ist und wieso Prinzipien besser sind als Regeln, darum soll‘s jetzt gehen. Lasst mich mit einer Geschichte starten.

Rosa Beetle

In einem Beratungsunternehmen wurden neue Mitarbeitende beim Eintritt ins Unternehmen sofort mit einem Firmenwagen und einer Firmenkreditkarte ausgestattet. Beim Firmenwagen gab es keine Vorgaben in Bezug auf Modelle und Ausstattung, lediglich die Leasingrate wurde begrenzt. Das bedeutete, neue Mitarbeitende konnten sich ein beliebiges Fahrzeug konfigurieren und frei entscheiden bezüglich Modell, Farbe, Ausstattung. Es gab nur ein Prinzip dabei. Es lautete: „Achte darauf, dass, solltest du das Unternehmen verlassen, das Fahrzeug auch für andere Kolleg:innen interessant ist.“ Sprich: Wähle kein so ausgefallenes Modell. Eines Tages hatte sich eine neue Mitarbeiterin so sehr in einen rosa Beetle als Firmenwagen verliebt, dass sie von dem bekannten Prinzip abweichen wollte. Sie sprach mit der Geschäftsführung und sagte, sollte sie das Unternehmen verlassen, übernehme sie den Wagen. Mit dieser Vereinbarung konnten alle leben. Nach einigen Monaten merkte die Mitarbeiterin, dass sie sich in dem Unternehmen doch nicht so verwirklichen konnte, wie sie wollte. Sie entschied zu gehen, hatte aber nun doch kein Interesse mehr, den Leasingvertrag wie vereinbart privat zu übernehmen. Tja, das hat natürlich die Geschäftsführung mächtig geärgert, verständlicherweise.

Nun könnten wir sagen, die Geschäftsführung war ja ganz schön blauäugig. Oder: Selbst schuld, wenn ihr auch keine klaren Regeln aufsetzt zu den erlaubten Konfigurationsmöglichkeiten der Firmenfahrzeuge.

Übersteuerung

In vielen Organisationen würde ein solcher Vorfall genau dazu führen, dass sehr klare Richtlinien zu Firmenfahrzeugen aufgesetzt werden, um sich vor Missbrauch zu schützen. Aus dem gleichen Grund haben Unternehmen auch sehr ausgefeilte Reisekostenrichtlinien und auch zu anderen Themen eine Fülle an Regeln. Klare Freigabeprozesse gehören dann natürlich auch in das Repertoire der Unternehmenssteuerung.

Das Resultat ist ein bürokratischer Apparat, der schwerfällig ist, Zeit kostet, Ressourcen bindet und in der Regel zu schlechteren Entscheidungen führt.

All dies hat das Beratungsunternehmen nicht getan. Stattdessen hat es sich von der Mitarbeiterin auf ihren Wunsch getrennt und den Beetle behalten. Übrigens hatte bald eine andere Kollegin Interesse, den rosa Beetle zu nehmen.

Wieso ist das Beratungsunternehmen nicht dem Steuerungsreflex verfallen und hat Richtlinien für Firmenfahrzeuge definiert? Nun, das Unternehmen war sich der negativen Folgen von Regelwerken bewusst und hat die Vorzüge von Prinzipien höher geschätzt.

Regeln vs. Prinzipien

Regeln sind ein Standardinstrument der Unternehmenssteuerung. In Regeln wird definiert, was wir in gewissen Situationen genau zu tun oder eben zu lassen haben. Da viele Regeln doch nicht jeden Fall abdecken, werden Regelwerke immer umfangreicher und schaffen einen enormen bürokratischen und administrativen Aufwand. Regeln werden von übergeordneter Stelle geschaffen und die Organisation fordert ihre Einhaltung.

Prinzipien sind Grundsätze, die dem Handeln eine Orientierung geben, indem sie ein Ergebnis beschreiben. Gleichzeitig lassen Prinzipien Freiräume der Ausgestaltung. Mit Prinzipien erkennt man an, dass viele Situationen so komplex sind, dass nicht alle Spezialfälle in Regeln gegossen werden können. Prinzipien können nicht einfach nur befolgt werden, in der Anwendung benötigen sie eine Interpretation des Kontextes, um daraus sinnvolles Handeln abzuleiten.

Regeln fordern Gehorsam. Und töten damit die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden. Das ist für mich ein schlagendes Argument, Prinzipien statt Regeln zu vereinbaren.

„Wir reisen kosten- und umweltbewusst und wählen die sinnvollste Variante.“ So könnte ein Prinzip lauten und komplizierte Reisekostenrichtlinien überflüssig machen. Detaillierte Regelungen zu Reisekosten verhindern in etlichen Unternehmen, dass die Mitarbeitenden günstige Reiseangebote nutzen können. Vielleicht ist das Erste-Klasse-Ticket der Bahn wegen eines Angebots diesmal tatsächlich günstiger als andere Alternativen? Oder möglicherweise ist die Fahrt mit einem angemieteten Pkw – möglicherweise als E-Wagen – die sinnvollste Wahl, um die Reise in den Tages- bzw. Wochenplan zu integrieren? Die Preispolitik der unterschiedlichsten Verkehrsanbieter ist so komplex, dass nur im individuellen Einzelfall beurteilt werden kann, was die günstigste und sinnvollste Variante ist.

Meine Empfehlung zur Unternehmenssteuerung geht somit klar Richtung Prinzipien statt Regeln. So macht ihr eure Mitarbeitenden zu Gestaltern und erhöht deren Motivation. Gleichzeitig wird eure Organisation flexibler, da spezielle Situationen im Orientierungsrahmen der Prinzipien durch die Mitarbeitenden selbst entschieden werden können.

Prinzipien für gelingende Zusammenarbeit

Prinzipien sind auch ein ideales Instrument, um Zusammenarbeit auf eine gemeinsame Basis zu stellen und für alle einen Orientierungsrahmen zu schaffen. Wenn ihr uns kennt, wisst ihr: Uns im CollaborationLab geht es darum, gelingende Zusammenarbeit in allen Bereichen der Organisation zu unterstützen.

Im CollaborationLab haben wir selbst intensiv daran gearbeitet, unsere Prinzipien der Zusammenarbeit zu formulieren.

Sneak Peak ins CollaborationLab

Wir haben beispielsweise folgendes Prinzip definiert: „Erfolg entsteht gemeinsam. Deswegen sind uns unsere Meetings zur Absprache und Entwicklung wichtig. Wir legen Wert darauf, uns regelmäßig präsent zu sehen.“

Als Berater sind wir alle viel unterwegs. Dabei ist es nicht immer leicht, Zeit für Bonding mit den Kollegen, den internen Austausch und die Weiterentwicklung unserer Genossenschaft zu finden. Mit diesem Prinzip heben wir die Wichtigkeit unserer gemeinsamen Meetings – wie zum Beispiel das Weekly – hervor. Natürlich kann es immer mal wieder sein, dass wegen Kundenaufträgen nicht alle am Weekly teilnehmen können. Klar ist aber auch, dass wir die Verantwortung dafür tragen, Zeit für gemeinsame Meetings zu finden.

Oder dieses Prinzip: „Störungen haben Vorrang. Deswegen nehmen wir Einwände ernst und entscheiden nach dem KonsenT-Prinzip, wenn es Unstimmigkeiten gibt.“

Mit diesem Prinzip ist klar, dass wir nicht über Minderheiten hinweg entscheiden. Deswegen nutzen wir so gut wie nie die demokratische Entscheidung. Uns ist es wichtig, dass alle die Entscheidungen mittragen können.

So könnt Ihr Eure eigenen Prinzipien erarbeiten

Eigene Prinzipien zu erarbeiten ist nicht trivial. Wo soll man anfangen? Und wie schaffen wir es, dass alle mit dem Prinzip leben können?

Hier ein paar Tipps, die bei uns gut funktionieren:

  • Erzählt Geschichten

    Es gibt immer wieder Situationen, in denen man nicht weiß, wie man handeln soll oder darf. Erzählt euch von diesen Situationen und überlegt gemeinsam, welches Prinzip hier einen Orientierungsrahmen geben könnte.
  • Nutzt Meinungsrunden

    Im Diskussionsprozess zur Erarbeitung von Prinzipien haben wir gute Erfahrungen mit Meinungsrunden gemacht. In einer Meinungsrunde wird das Reih-um-Prinzip angewendet und jeder hat die Möglichkeit, seine Gedanken und Meinungen zu einem Thema auszusprechen. Dabei solltet ihr nicht in Diskussionen ableiten, sondern die Meinungen unkommentiert stehen lassen.
  • Nehmt Euch Zeit

    Prinzipien sollen ein gemeinsames Verständnis schaffen. Dazu braucht es Austausch. Nehmt Euch Zeit für diesen Austausch und versucht nicht zu viele Themen in einem Meeting oder Workshop „abzuarbeiten“.
  • Reflektiert die vereinbarten Prinzipien

    Organisationen und die Zusammenarbeit der Menschen entwickeln sich immer wieder weiter. Deswegen sind Prinzipien auch nicht in Stein gemeißelt. Reflektiert immer wieder, ob ein Prinzip aus heutiger Sicht noch immer Sinn macht.

So. Und nun viel Spaß beim Erkunden und Erarbeiten eurer eigenen Prinzipien.

LabSample

Regeln vs. Prinzipien
Prinzipien der Zusammenarbeit

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