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Mitbestimmen geht nicht alleine!

Autor: Rebecca Hanker

Kennt ihr noch die Quizsendung „Was bin ich?“ aus dem Ersten mit Robert Lembke? Das Prinzip war einfach und wurde über die Jahre immer wieder neu aufgelegt. Im Kern musste man den Beruf einer Person erraten. Los gehts:

Was bin ich?

  • Ich sorge dafür, dass wir die Prinzipien unserer Zusammenarbeit, auf die wir uns geeinigt haben, eingehalten werden oder bei Bedarf angepasst werden.
  • Ich schaue genau, welche Innovationen uns als Organisation und allen Mitarbeitenden dienen und versuche diese umzusetzen.
  • Zeit für die Familie ist wichtig. Ich sorge für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
  • Ich nehme die Anregungen der Next Generation auf und versuche diese umzusetzen. Genauso fördere ich alle älteren Mitarbeitenden, die der Organisation vor uns geholfen haben, erfolgreich zu werden.
  • Wir integrieren alle bei uns. Diversität schreiben wir groß. Deshalb gestalte ich auch passgenaue Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigungen.
  • Rassismus hat bei uns keinen Platz, dafür trage ich Sorge.
  • Health and Safety first. Unser Job darf sich nicht negativ auf unsere Gesundheit auswirken. Maßnahmen, die präventiv wirken, stoße ich an.
  • Alles, was wir tun, tun wir auf nachhaltige Weise und im Einklang mit unserer Umwelt.
  • Mein Ziel ist es, unsere Jobs zukunftssicher zu machen.

Ideen, welcher Beruf das sein könnte? Einige von euch werden jetzt denken: „Krassester Scrum Master ever!“ Oder „People Lead eines neuen hippen Start-ups in Berlin“. Weit gefehlt. Es sind die Aufgaben eines Betriebsrats. Ok, ich gebe zu, sehr frei paraphrasiert nach § 80 des deutschen Betriebsverfassungsgesetzes! Überrascht?

Ich beschäftigte mich schon seit Jahren mit dem Thema gelingender Zusammenarbeit und betrieblicher Mitbestimmung und eigentlich habe ich immer darauf gewartet, dass im Zuge von Transformation und New Work Betriebsrat sein wieder „in“ wird. Ich frage mich, wo sind die Digital Natives, die mit einem Hafermilch Cappuccino in der Hand und mit Birkenstocks an den Füßen die alteingesessene Konzernwelt im Sturm vorbildhaft erobern mit der Forderung nach Netzwerken statt Hierarchien und vor allem einem: Mitarbeiterbeteiligung? Wo sind sie, die jungen wilden Betriebsrats-Hipster, die der deutschen Mitbestimmung neues Leben einhauchen?

Der Trend ist ein anderer. Betriebsräte werden weniger und immer öfter höre ich aus Unternehmen, Betriebsräte würden viel kosten und täten vor allem eins: bremsen. Hat das deutsche Erfolgsmodell der betrieblichen Mitbestimmung wirklich ausgedient? Ist nicht jetzt die perfekte Zeit, um als starker Betriebsrat voranzugehen und das eigene Unternehmen auf dem Weg durch die Transformation zu begleiten und zu unterstützen?

Rewind

Dabei ist die Mitbestimmung eine wichtige Errungenschaft der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Im Zentrum dessen steht die Möglichkeit der Arbeitnehmenden, auf unternehmerische Entscheidungen Einfluss zu nehmen und somit auf die Bedingungen ihrer Arbeit. Die Anfänge der Mitbestimmung kommen aus Zeiten, in der harte körperliche, meist monotone Arbeit einen Großteil der Aufgaben ausmachte. Heutige Selbstverständlichkeiten wie Pausen, Urlaube und Umgang mit Überstunden wurden durch Solidarisierung für den Menschen erkämpft, der mehr ist als nur Arbeitskraft für kleines Geld.

Play

Heute sieht das Ganze anders aus. Die Verhandlungsposition von Arbeitnehmern ist in weiten Teilen unserer Arbeitswelt deutlich besser. Aufgrund des Fachkräftemangels bemühen sich Unternehmen nun mehr und mehr im sogenannten „war of talents“ um die besten Köpfe. Der Mitarbeitende ist längst mehr als bloße Ressource, sondern bedingt durch den immer größer werdenden Anteil an Wissensarbeit, Garant für Erfolg, Innovation und Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Gut für uns und zur Freude kämpferischer Betriebsräte, oder?

Neue Aufgaben brauchen neue Formen der Mitbestimmung

Durch Megatrends wie Globalisierung, Wissenskultur, Individualisierung, Konnektivität, Neo-Ökologie und New Work stehen wir vor neuen tiefgreifenden Veränderungen. Die Welt wird komplexer, alles ist irgendwie „VUKA“. Dies stellt neue Anforderungen an Führung, Zusammenarbeit, Arbeitsmethoden und Kultur. Und für Betriebsräte? Schöne neue Welt, um gemeinsam mit dem Arbeitgeber den veränderten Marktbedingungen gerecht zu werden?

Die betriebliche Mitbestimmung und das Ehrenamt des Betriebsrats stehen in diesem Spannungsfeld vor wachsendenden Anforderungen durch den permanenten Veränderungsdruck der Unternehmen. Allein die Digitalisierung generiert eine Flut an zu verhandelnden Systemen. Wirtschaftsverbände und Unternehmen fordern schon länger das Mitbestimmungsrecht, in dem eine technologische Neuerung die Überwachung von Leistung und Verhalten möglich macht, es aber nicht bezweckt zu beschränken.

Betriebsräte müssen heute in der Lage sein, technische und organisatorische Entwicklungen richtig einschätzen und bewerten zu können – und das schnell. Dazu noch interessengerechte Lösungen für die Mitarbeitenden und rechtlich belastbare Regelungen verhandeln. Denn sonst geht in den Unternehmen oft nichts mehr und operative Prozesse stehen still. Man bedenke nur, wie schnell zu Beginn der Coronapandemie Homeoffice-Lösungen gefunden werden mussten.

Das Betriebsverfassungsgesetz, auf dem die betriebliche Mitbestimmung fußt, wird der heutigen Arbeitswelt nicht mehr gerecht. Die Ausgestaltung der Rolle eines Betriebsrats muss im Zuge von „Neuer Arbeit“ und Digitalisierung neu gedacht werden, denn klassische Einflussbereiche des unternehmerischen Alltags sind permanenter Änderung unterworfen.

Verantwortung dann vollständig an ein Regelsystem in Form des BetrVG abzugeben, ist somit nicht zielführend – und das gilt für beide Seiten. Weder den Unternehmen nützt es, wenn sich Betriebsräte darüber streiten, ob sie „rechtzeitig und umfassend“ vom Arbeitgeber informiert worden sind. Ist das heute überhaupt noch möglich? Noch hilft es, wenn der Arbeitgeber sofort den Weg in die Einigungsstelle sucht und bei der Einsetzung dieser auf einen arbeitgebernahen Vorsitzenden pokert. Im schlimmsten Fall geht es dann nicht mehr um kundenorientierte Lösungen im Sinne der Mitarbeitenden, sondern um Machtspielchen. Verhandlungen gleichen einem Basar – hier wird was gegeben, um woanders was zu bekommen.

Veränderungen schnell umzusetzen und dennoch Rechte der Mitbestimmung in Anwendung zu bringen, führen immer wieder zu Herausforderungen. Denn auch den Gremien ist es mitunter so gegangen wie den zu transformierenden unternehmerischen Strukturen selbst. Entstanden sind im schlimmsten Fall starre Prozesse, hoher administrativer Aufwand und langwierige Abstimmungen.

Werfen wir zum Abschluss noch einen Blick auf ihre Zielgruppe: Die Mitarbeitenden sind längst nicht mehr alle Davids, die gegen Goliaths kämpfen. Es hat einen Emanzipationsprozess gegeben. Viele Mitarbeitende stellen ihre individuellen Anforderungen selbst. So ist es für Betriebsräte heute fast unmöglich „die Stimme“ der Belegschaft zu sein.

Neue Aufgaben und neue Rahmenbedingungen brauchen also neue Formen der Mitbestimmung oder sogar Mitbestimmungen. Wie kann diese in Zukunft aussehen?

Fast Forward

Wenn wir in die Zukunft schauen, dann glaube ich, dass aus der klassischen Mitbestimmung ein Mitgestalten werden muss. Hier einige Empfehlungen:

Gemeinsame Prinzipien der Zusammenarbeit

Es muss von beiden Seiten einen ernst gemeinten Wunsch zum Neuanfang geben und einen echten „clean slate“. Manchmal ist es dafür notwendig, Konflikte aus der Vergangenheit zu besprechen und ein für alle Mal zu befrieden, um vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Im Anschluss empfehlen wir beiden Seiten gemeinsam die Prinzipien ihrer Zusammenarbeit zu erarbeiten. Diese sind Grundlage jeder Diskussion und müssen dann nicht bei jedem neuen kritischen Thema auf den Prüfstand gestellt werden. Hier werden gemeinsame Ziele und Arbeitsmodi vereinbart, die einen Rahmen bilden.

Verantwortung darf nicht an ein Regelsystem abgeben werden

Die Verantwortung für die gemeinsame Zusammenarbeit und die Ergebnisse dürfen nicht nur an starre Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes abgeben werden. Es gilt, typisch tradierte Rollen abzustreifen und in einen wirklichen Prozess der Co-Kreation zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu kommen. Hier ist echte Mitarbeit gefragt und der Wille, auch für die gemeinsamen Ergebnisse Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam neue Wege zu gehen.

Beratung aus einer Hand

Eine weitere Stolperfalle in diesem Zusammenhang ist die Beratung durch getrennte Sachverständige und Berater auf beiden Seiten. Beratung und Sachverstand sind wichtig und nötig für beide Seiten, da die Themen immer komplexer werden. Durch eine getrennte Vorbereitung und Beratung entstehen jedoch extrem viele Missverständnisse und Konflikte. Trotz unterschiedlicher Meinungen braucht es eine gemeinsame Basis, um auf Augenhöhe diskutieren zu können. Vielleicht gibt es ja einen Sachverständigen, dem beide Seiten vertrauen können?

Eine gemeinsame Professionalisierung

Die eingangs beschriebenen Megatrends führen zu zahlreichen Veränderungsprozessen und erhöhen die Komplexität der Themen. Um dies zu bewältigen, bedarf es auf beiden Seiten eine Professionalisierung. Habt ihr gerade euren HR-Manager als Agile Coach ausbilden lassen? Cool! Und wie sieht es bei eurem Betriebsrat aus? Am besten ist es, wenn die Qualifizierung gleich gemeinsam mit Arbeitgeber und Betriebsrat stattfindet.

Neue Formen der Entscheidungsfindung ausprobieren

Gerade bei neuen Themen, bei denen beide Seiten nicht auf viel Erfahrung zurückgreifen können, ist es schwierig, einen gemeinsamen Konsens zu finden. Wie wäre es aber mit einem Konsent? Das Konsent-Verfahren kann ebenfalls zur Entscheidungsfindung in Gruppen führen. Im Gegensatz zum Konsens sind Widersprüche hier aber Teil der Lösung. Es geht darum, sich auf etwas zu einigen, ohne dass ein schwerwiegender Einwand vorliegt und die Entscheidung so von allen mitgetragen werden kann. Das Motto bei dieser Art der Entscheidungsfindung lautet:

„Good enough for now and safe enough to try“ Neugierig? Probiert es gern mal aus.

Dinge erst leben, dann regeln

Manche Unternehmen fühlen sich tatsächlich wie Goliath. Aber wie Goliath, wo jede weitere Betriebsvereinbarung wie ein Deuserband um die Beine wirkt. Anfangs noch beweglich, wenn auch anstrengend, fällt man irgendwann einfach um und ist bewegungslos. Damit beide Seiten wirklich entscheiden können, was für das Unternehmen und die Mitarbeitenden gut funktioniert, braucht es Mut für Experimente. Denn was man heute verhandelt hat, ist morgen evtl. schon vom Tisch. Feste Regelungen sollten erst getroffen werden, wenn man auch überprüfen kann, ob die Neuerung die gewünschte Wirkung zeigt. Das bedeutet aber, kontinuierlich und in iterativen Schleifen zu arbeiten. Wie solche agilen Gestaltungsprozesse aussehen können? Probiert doch mal unser Mitbestimmungs-Scrum aus!

Es gibt sie natürlich!

Die jungen wilden Betriebsrats-Hipster, die die Transformation ihrer Unternehmen maßgeblich mitgestalten und sogar vorantreiben. Einige durfte ich selbst kennenlernen. Meist sind sie gar nicht mehr so jung und so wild, sondern leben einfach die Ausgestaltung ihrer Aufgabe, die ich anfangs beschrieben habe. Das Besondere ist, sie sind in der Lage, den Kern ihrer Aufgabe immer auf die aktuellen Herausforderungen praxisnah anzupassen auf Basis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber und der Zielgruppe immer im Fokus. Ihr Ego und alttradierte und politisierte Rollenzuschreibungen an ihre Aufgabe spielen dabei keine Rolle. Durch sie hat „neue Mitbestimmung“ auch heute noch eine rosige Zukunft.

In der Quizshow zum heiteren Beruferaten „Was bin ich“ wurde oft die Frage gestellt: „Machen sie Menschen glücklich und zufrieden?“ um herauszufinden, welchen Beruf der Kandidat denn nun hat. Eine gute Frage und gerade hier eine, die sich beide Seiten stellen sollten.

Hier nochmal für euch unsere LabSamples auf einen Blick. Lasst euch gerne davon inspirieren und probiert etwas Neues aus:

Mitbestimmungs-Scrum- Gemeinsam gestalten statt verhandeln
Die Konsent-Entscheidung – Es genügt, nicht dagegen zu sein

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