Blog 2022-05

Führung braucht autonome Menschen

Autor: Christoph Bauer

Jörn war Führungskraft im Bereich Sales und hat sich vor Kurzem bewusst dazu entscheiden, die Rolle der Führungskraft zu verlassen. Er wollte wieder mehr gestalten und daher im operativen Geschäft mitwirken. Also hat er seinen Bereich verlassen und wurde Teammitglied in einem anderen Bereich.

Ich kenne einige Führungskräfte, die insgeheim gerne den gleichen Weg gehen würden. Die sich wünschten, ihre fachliche Kompetenz wieder operativ einbringen zu können. Letztlich sind sie neben der Rolle der Führungskraft auch tolle Experten. Mit den Führungsaufgaben fühlen sich manche nicht so richtig wohl.

Aber wie ist es nun, wenn man als ehemalige Führungskraft wieder zum Mitarbeitenden wird? Ungewöhnliche Situation, oder? Kann das funktionieren? In der Tat birgt diese Situation einiges an Konfliktpotenzial. Ist die ehemalige Führungskraft in der Lage, sich wieder von jemand anderem Führen zu lassen? Und wie ist das für die Führungskraft, die plötzlich ein Teammitglied hat, das noch zuvor auf der gleichen Führungsebene agiert, wie sie selbst? Diese Fragen musste sich auch Sabrina stellen. Jörn wurde Mitarbeiter in ihrem Bereich, obschon die beiden zuvor noch gemeinsam in Führungs- und Steuerkreisen agiert hatten.

Einfach ist es nicht, in dieser Konstellation erfolgreich zusammen zu arbeiten. Gelingen kann es natürlich. Was es dazu benötigt, sind eine gute Rollen- und Beziehungsklärung und ein neues Verständnis von Führung.

Führung ist für alle da

Klassischerweise wird an die Führungskraft die Erwartung geknüpft, den eigenen Bereich, die Abteilung zu führen. Nach dem Highlander-Prinzip „Es kann nur einen geben“, führt dies zu einer zentralisierten Führung und Verantwortungsallokation. Tatsächlich lassen sich jedoch verschiedene Führungsaspekte unterscheiden, die auch auf verschiedene Schultern verteilt werden können. Schaut dazu gerne noch mal in unser LabSample „Dreiklang der geteilten Führung“. Hier unterscheiden wir zwischen den Aspekten der fachlichen Führung (Orientierung geben), der team- und prozessorientierten Führung (Zusammenarbeit fördern) und der operativen Führung (Aufgabenmanagement). Den Rahmen für diese drei Führungsaspekte bildet der People Lead.

Auch für Sabrina und Jörn war es wichtig, genau zu klären, welche Führungsaspekte durch welche Rolle wahrgenommen werden. Jörn könnte beispielsweise eine fachliche Führungsrolle im Sinne eines Produktmanagers, Product- oder Business-Owners einnehmen.

Klarheit in den Rollen ist eine wichtige Voraussetzung zur Vermeidung von Konflikten. Dies allein ist aber noch nicht ausreichend für gelingende Führung im beschriebenen Dreiklang.

New Leadership – Führung ist ein soziales Phänomen

Führung findet nur statt, wenn der Führungsimpuls auf Resonanz stößt. Machtausübung von beiden Seiten macht Führung unmöglich. Wenn Führungshandelnde einen Impuls setzen, der von anderen nicht aufgenommen wird, hat keine Führung stattgefunden. Wenn ich eine Anforderung in die Entwicklungsmannschaft gebe, die aus meiner Sicht wichtig für das Produkt und den Markt wäre, die Entwickler diese Anforderung jedoch anders bewerten (technisch nicht umsetzbar, zu aufwändig …) so hat keine Führung stattgefunden. Mit einer entsprechenden Machtposition (Geschäftsführung, Abteilungsleitung, Projektleitung …) könnte ich die Entwicklung möglicherweise doch dazu bewegen, die Anforderung umzusetzen. In diesem Fall würde ich jedoch von Steuerung durch Zwang und Machtausübung sprechen, und nicht von Führung.

Gleiches musste auch Sabrina erfahren. Jörn hatte zu bestimmten Dingen einen eigenen Kopf und eigene Vorstellung. Damit hatte er in manchen Punkten die fachliche Führung von Sabrina infrage gestellt. Machtausübung von Sabrinas Seite hätte hier auch nicht weitergeholfen.

Führung ist ein soziales Phänomen, das stattfinden kann, wenn Macht den Raum verlässt. In diesem Sinne ist Führung kein Steuerungsmechanismus, sondern zunächst einmal ein Beziehungsphänomen. Führung gelingt, wenn die Beziehung geklärt ist.

Folgende Aspekte bilden die Basis dafür, dass Führung gelingen kann:

  • Personales Vertrauen
    Ich werde mich nur von einer Person führen lassen, der ich vertraue. Wenn jemand unser Vertrauen missbraucht, ist die Beziehung belastet. Von einer solchen Person werden wir uns in der Regel nicht führen lassen.
  • Gleichwertige Haltung
    Positionen, unterschiedliche Hierarchieebenen, mit Kompetenzen ausgestattete Rollen mögen im Raum sein. Zur Ausübung von Führung spielen sie jedoch keine Rolle. Im Gegenteil, nur auf Basis einer gleichwertwertigen Haltung kann Führung stattfinden.
  • Freiwilligkeit & Akzeptanz
    Denn Führung braucht den Raum der Freiwilligkeit und damit die Möglichkeit, Führungsimpulse einer Person abzulehnen oder aus freien Stücken anzunehmen und zu akzeptieren.
  • Verzicht auf Machtausübung
    Somit ist der Verzicht auf Machtausübung unbedingte Voraussetzung für Führung. Sobald Macht im Spiel ist, handelt es sich um Zwang. Und niemand lässt sich gerne zu etwas zwingen.

Für Sabrina und Jörn aus dem eingangs beschriebenen Beispiel war es wichtig, die Form ihres Miteinanders, – ihre Beziehung – zu klären. Sind beide in der Lage, sich explizit oder implizit auf eine Form der Zusammenarbeit zu einigen, die den vier dargestellten Aspekten gerecht wird?

Vertrauen war nicht das Thema bei den beiden. Auch war es nicht der Stil von Sabrina, durch Machtausübung zu führen. Der schwierige Punkt war insbesondere der Aspekt der gleichwertigen Haltung. Jeder brachte seinen Teil zum gelingenden Miteinander ein, auch wenn Jörn und Sabrina nun hierarchisch unterschiedliche Positionen hatten. Nur wenn Jörn das Gefühl hat, nicht degradiert zu sein, wird er die Führungsimpulse von Sabrina annehmen können.

Führung braucht autonome Menschen

Solche Aushandlungsprozesse können anspruchsvoll sein. Damit sie gelingen, braucht es eine gute Portion Selbstreflexion. Nach Eric Berne, dem Begründer der Transaktionsanalyse, sind echte Beziehung nur zwischen autonomen Menschen möglich. Menschen, die sich ihrer selbst bewusst sind, frei entscheiden, wie sie ihre Gefühle ausdrücken und echte Nähe zulassen.

Autonom bedeutet nicht autark und unabhängig im Sinne von nichts und niemanden brauchen. Vielmehr ist damit die persönliche Freiheit gemeint, wie ich mich auf eine Person oder Gruppe einlasse und beziehe.

Führung jenseits von Zwang und Steuerung braucht genau solche Beziehungen autonomer Menschen. Menschen, die frei sind, Führung zu gestalten und Führung anzunehmen. New Leadership bedarf nicht der Autorität von Positionen, sondern basiert auf der natürlichen Autorität, die aus den Beziehungen der Menschen entspringt.

Eric Berne stellt drei Aspekte heraus, die für die Beziehungsgestaltung autonomer Menschen relevant sind:

  • Bewusstheit
    Ich bin mir meines Denkens, Fühlens und Handelns bewusst und nehme andere Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und ihrer Ähnlichkeit zu mir wahr.
  • Spontaneität
    Ich wähle, wie ich meine Gefühle ausdrücke und wie ich angemessen dazu handle.
  • Intimität
    Ich stelle echte Nähe zu anderen Menschen her, indem ich mich empathisch in sie hineinversetze und meine Gefühle und Wünsche offen mitteile.

Führung als Beziehungsgestaltung

Führung kann nur wirksam werden, wenn sie auf die Akzeptanz der Geführten trifft. Wenn Jörn die Führungsimpulse von Sabrina nicht akzeptiert, weil sie zuvor auf gleicher hierarchischer Ebene agiert haben, kann Sabrina nicht wirksam werden. Es sind also die Menschen, die Führung gestalten, nicht Rollen. Und es kommt auf die Art und Weise an, wie sie ihre Beziehung gestalten.

Hier sind einige Empfehlungen, auf die Ihr achten könnt und die auch für Sabrina und Jörn wichtig waren:

  • Geht in einen offenen Austausch zu gegenseitigen Erwartungen und Wünschen. Macht dabei euer Bild eurer Rolle transparent.

    Auch Sabrina und Jörn hatten offen über ihre Rollen gesprochen und konnten somit die gegenseitigen Erwartungen klären.
  • Hört den Menschen mit einem ernsthaften Interesse zu. Macht euch selbst als Mensch nahbar und erfahrbar. Check-in und Check-outs sind dafür sehr gut geeignet.

    Nur wer in der Lage ist, anderen zuzuhören, sich zu interessieren, wird das Miteinander so gestalten können, dass es für alle passt.
  • Tauscht euch zu den individuellen Stärken, Kompetenzen und Potenziale aus und nutzt diese bestmöglich für die anstehenden Aufgaben.

    Jörn hatte ganz klare fachliche Stärken. Deswegen einigten sich Sabrina und er darauf, dass er diese als Produktmanager einbringt. Somit hat er eine fachliche Führungsrolle übernommen.
  • Beziehung braucht Resonanz: Schafft Formate zur regelmäßigen Reflexion der Zusammenarbeit. Gebt Feedback und Rückmeldung zu erarbeiteten Ergebnissen.

    Ein gelingendes Miteinander ist kein Selbstläufer. Das war es auch zwischen Sabrina und Jörn nicht. Aber sie haben sich regelmäßig verabredet, ihre Zusammenarbeit zu reflektieren.

Wie geht es euch? Mit welchem Blick schaut ihr auf Führung? Schreibt gerne einen Kommentar. Ich freue mich auf den Austausch.

LabSample

Autonomie
Dreiklang der geteilten Führung

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