Blog 2022-10

Auf und nieder, immer wieder – was wir von einem Stehaufmännchen in diesen Zeiten lernen können!

Autorin: Anna Leiber

„Kommt Zeit, kommt Rat!“, „So viel ist sicher, es bleibt spannend!“, „Da hilft nur eins: abwarten und zuversichtlich bleiben!“ – diese und ähnliche Äußerungen sind seit 2,5 Jahren mein ständiger Begleiter und versuchten, mir und anderen das unerklärliche Weltgeschehen ein bisschen erträglicher zu machen. Je nach Situation hörte ich mich die Sätze selbst formulieren, mal stammten sie aus meinem privaten oder beruflichen Umfeld. Wären für all diese „klugen Sprüche“ Treuepunkte verteilt worden, was hätten wir Prämien und Bonusmeilen gesammelt!

Und auch jetzt, im Oktober 2022, erwische ich mich nach einem Blick in die Medien, einem Gespräch im Freundeskreis oder einem Workshoptag im Büro (mal wieder) bei dem Gedanken: „Was leben wir doch in absolut verrückten Zeiten!“ Moment mal…kennt meine innere Schallplatte nur noch den „Wahnsinns-Chaos-Weltuntergangs-Hit“ der 2020er? Habe ich mich mit all den Durchhalteparolen vielleicht nur hinters Licht geführt?

„Aber nicht doch”, scheint mir mein kleines Stehaufmännchen vom Schreibtisch milde zuzurufen, „Selbst, wenn Vieles im Außen nach wie vor unbegreiflich scheint, Du weißt es doch mittlerweile viel besser.“ Ich lächle zurück, atme tief durch und versetze ihm einen leichten Stups. Wo es Recht hat, hat es Recht!

Nichts ist so beständig wie der Wandel

Doch nochmal zurück zu all den Irrungen und Wirrungen in Gesellschaft, Politik und der Unternehmenswelt. Sie lassen sich, wirft man einen Blick in die einschlägigen Wirtschaftstheorien, mit vier einfachen Buchstaben ausdrücken: VUCA. Vier Buchstaben, die es bei genauerer Betrachtung in sich haben.

So steht VUCA für eine Welt, die geprägt ist von

Volatilität (volatility)
Unsicherheit (uncertainty)
Komplexität (complexity)
Ambiguität (ambiguity).

Kurzum, in der stete Veränderungen zur Normalität gehören, mehr noch, die neue Normalität sind.

Als das Konzept erstmalig erwähnt wurde, im Amerika der 1990er Jahre, ahnte vermutlich noch niemand am US War College, welche Wege das Akronym in den folgenden Jahren einschlagen würde. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sich die ersten Wirtschaftswissenschaftler:innen damit auseinandersetzten und VUCA sehr treffend für eine Welt empfanden, in der die rasant zunehmenden internationalen Verflechtungen und Dynamiken den Beginn einer neuen Zeit einläuteten. Damals.

Dieser Gedanke etablierte sich mehr und mehr in Theorie, z.B. Wirtschaftsmodellen und Zukunftssimulationen, sowie Praxis, z.B. agilen Arbeitsweisen. Ich selbst arbeitete häufig mit dem Konzept in zahlreichen Workshops und Projekten, reflektierte in Klein- wie Großgruppen über die ungemein wichtige Frage „Und was macht VUCA mit Euch?“ und versuchte in all dem meine eigenen Antworten auf das Chaos „da draußen“ zu finden.

Und dann kam Corona…

… die Klimakrise …
… der Ukraine-Krieg …
… die Inflation …
…die Gaskrise…

… und viele gewaltsame Konflikte um Menschenrechte, Freiheit und Grundversorgung.

Zusehends beschleicht mich das Gefühl, dass die Erklärung hinter VUCA im Jahr 2022 nicht mehr ausreicht. Dass das Weltgeschehen in den letzten drei Jahren (erfolgreich) versucht hat, sich selbst zu überholen. Und uns alle dabei mitgenommen hat in diesen Strudel aus Ratlosigkeit und Überforderung.

Tok – Tok – Tok – mein Stehaufmännchen lächelt mir wieder zu, während es in gleichmäßigen Bewegungen und seinem ganz eigenen Rhythmus von links nach rechts und wieder zurück schaukelt. Ganz so, als könnte es nichts aus der Ruhe bringen. Ich lächle zurück, atme tief durch und versetze ihm erneut einen leichten Stups.

Schlimmer geht immer: Von VUCA zu BANI

„Es gibt historische Momente, in denen die Zukunft ihre Richtung ändert […] Diese Zeiten sind jetzt. Die Welt as we know it löst sich gerade auf.“ Klingt nach einer extrem passenden Beschreibung unserer aktuellen Zeit, oder? Da gibt es nur einen kleinen Haken: diese Aussage des deutschen Zukunftsforschers Matthias Horx stammt bereits aus dem Frühjahr 2020 und der Zeit, als wir uns gerade auf den ersten Lockdown vorbereiteten. Damals.

Fast zeitgleich zu Horx Einschätzung und während die Corona-Monate voranschritten, etablierte sich in den deutschen Medien- und Politdebatten der Begriff des „New Normal“. Damit versuchte man, dieser nur schwer zu verstehenden Realität einen Namen und uns damit einen Hauch (vermeintlicher) Orientierung zu geben. Naja, einen Versuch war’s wert.

Interessanterweise wurde auch diese Bezeichnung, ähnlich wie bei Horx, bereits zwei Jahre zuvor das erste Mal erwähnt – im Herbst 2018 und damit zu einer Zeit, in der die globalen Entwicklungen noch nicht annähernd so aus den Fugen geraten waren. Das jedoch nur eine Notiz am Rande, denn wir kommen nun zum traurigen Höhepunkt der Geschichte: der Geburtsstunde von BANI.

Mit dem Beginn der Corona-Pandemie und allen nachfolgenden Ereignissen begann das Ende der VUCA-Ära und die Suche nach einem weiterführenden Modell. Doch ließ sich all der globale Wahnsinn überhaupt in einem einzigen Begriff zusammenfassen?! Die Antwort darauf findet sich erneut in einem Akronym, in vier unscheinbaren Buchstaben: BANI. Was sich dahinter verbirgt?

Eine Welt, die sich zu einer

brüchigen (brittle),
ängstlichen (anxious),
nicht-Linearen (non-linear) und
unbegreiflichen (incomprehensive)

entwickelt hat und uns alle damit vor ein neues Ausmaß an Herausforderungen stellt. Ganz nach dem Motto: Schlimmer geht immer!

Tok – Tok – Tok…Boing – offensichtlich stand mein Stehaufmännchen ein kleines bisschen zu nah am Abgrund, respektive der Tischkante, denn mit einem dumpfen Schlag landet es zu meinen Füßen. Während ich es aufhebe und wieder aufstelle, halte ich für einen kurzen Moment inne und schaue es an. Vollkommen unbeeindruckt von seinem Fall lächelt es mich besonnen an und scheint zu sagen: „Ist schon in Ordnung, das kann mal passieren!“ Ich lächle zurück, atme tief durch und versetze ihm, kaum dass es wieder auf dem Tisch steht, erneut einen leichten Stups.

Was es jetzt braucht?! Resilienz, Resilienz, Resilienz

Hand aufs Herz – wer hat sich bisher gefragt, was es eigentlich mit der Nebengeschichte zu meinem Stehaufmännchen auf sich hat? So wirklich schlüssig hat es bisher nicht in den Text gepasst, oder etwa doch? Möglich wäre es – so viel sei an dieser Stelle schon einmal verraten.

Wie der Name schon sagt, bringt dieses kleine Kerlchen eine Eigenschaft mit, die heute in manch turbulenten Momenten für Faszination und Beruhigung sorgt, zu Kindheitstagen möglicherweise zu Unverständnis und Wutanfällen geführt hat (schuldig im Sinne der Anklage). Ganz egal, aus welcher Richtung und mit welcher Kraft man es anstupst, nach wenigen Minuten steht es wieder stolz und aufrecht vor einem. Es kehrt in seinen Ursprungszustand zurück, als wäre absolut nichts gewesen.

Genau dieses Merkmal hat dazu geführt, dass das Stehaufmännchen als Symbol für eine Fähigkeit aufgeführt wird, die wir in unserem heutigen Alltag so dringend brauchen wie vermutlich keine andere: die so genannte Resilienz.

Obwohl der Begriff auf eine wesentlich längere Entwicklungsgeschichte zurückblickt als VUCA und BANI zusammen, so lassen sich durchaus manche Parallelen feststellen. Auch das Konzept zur Resilienz, die mittlerweile auch unter den Stichworten Flexibilitätskompetenz, Widerstandskraft oder seelisches Immunsystem bekannt ist, fand seine Anfänge zu einer vollkommen anderen Zeit als der heutigen, im Jahr 1955.

Den Grundstein zur Resilienzforschung legte damals die US-amerikanische Psychologin Emmy Werner mit einer Langzeitstudie auf der hawaiianischen Insel Kauai. Im Zuge ihrer Untersuchungen begleitete sie insgesamt knapp 700 Kinder und Jugendliche, von denen etliche in prekären Verhältnissen aufwuchsen und mit Hunger, Gewalt oder Vernachlässigung durch die Eltern zu kämpfen hatten. Diese Kinder, so Werners These, würden im Erwachsenenalter mit den Folgen ihres beschwerten Heranwachsens zu kämpfen haben. Bei einem Teil ihrer Untersuchungsgruppe trat genau diese Prognose ein, jedoch nicht bei allen.

So gab es einige Kinder, die sich zu gesunden und erfolgreichen Erwachsenen entwickelten und mit ihrer positiven Ausstrahlung weit über ihre Gemeinden hinaus wirkten. Sie waren, dokumentieren es die Forschungsberichte, „verletzlich, aber unbesiegbar.“ Kurzum, sie waren resilient. Doch was genau unterschied diese Kinder vom Rest? Werners Erkenntnisse klingen faszinierend und wunderbar einfach zugleich: wie sich herausstellte, verfügten sie über ein großes und unterstützendes soziales Netz, einen starken Glauben an das Gute in der Welt, einen humorvollen Umgang mit den Dingen und schließlich eine klare Vorstellung ihrer Zukunft. Damit vereinten sie viele Fähigkeiten in sich, die die Forschung später als die so genannten Resilienz-Faktoren identifizierte.

Apropos Forschung: ausgehend vom Hawaii der 1950er Jahre fand das Thema Resilienz in zahlreichen Disziplinen Einzug. Dabei wollte man besonders verstehen, was einen resilienten Menschen ausmacht, wie und woran sich diese Fähigkeit messen lässt und welche Prozesse sie begünstigen oder schwächen. Eines der bekanntesten Forschungsergebnisse ist das Modell der „Sieben Schlüssel der Resilienz“, auf die wir im MeetUp am 13. Oktober genauer schauen werden.

Von der Vielfältigkeit des Themas und seiner Anwendungsbereiche konnte ich mich selbst sehr gut überzeugen: so begegnete ich Resilienz (in der Theorie) zum ersten Mal vor zehn Jahren im Rahmen meines Politikstudiums, traf darauf erneut als Trainerin für Organisationsentwicklung und entdeckte meine Leidenschaft dafür endgültig vor zwei Jahren, als ich in meiner systemischen Coachingausbildung saß und einen Schwerpunkt für meine zukünftige Tätigkeit wählen sollte. Wir erinnern uns: Sommer 2020, Corona, VUCA, BANI. Welches Thema könnte da besser passen als die seelische Widerstandsfähigkeit in turbulenten Zeiten? Eben!

Seit diesem Zeitpunkt habe ich viel gelernt: wie es um meine persönliche Resilienz bestellt ist (#luftnachoben), wo wir ihr im Alltag begegnen können (#kleinedingemachendenunterschied) und inwiefern jede:r von uns das Potential zum Stehaufmännchen in sich trägt (#dontstopbelieving). Und mit jeder neuen Erkenntnis und Erfahrung, die ich zu diesem Thema in Gesprächen, Workshops und Projekten gewinne, wächst meine Begeisterung daran. Warum das so ist?

Weil Resilienz in meinen Augen kein abstraktes Modell, keine verstaubte Theorie ist, sondern gelebte Praxis, die wir alle beherrschen können, sobald wir (wieder) den bewussten Fokus darauf legen. Sie steckt symbolisch im Stehaufmännchen auf meinem Schreibtisch, in unserer täglichen Morgenroutine, in fünf Minuten Durchatmen zwischendurch, in der Mittagspause mit Kollegen:innen, in einem gemütlichen Abend mit Freunden, in kreativen Visionboards und strukturierten Monatsplänen, im Miteinander und Alleinsein, vor allem aber im Hier und Jetzt. Tja…so einfach kann es sein!

Ich hätte am Anfang dieses Beitrags jedoch nicht so viele Zeilen auf die zwei tückischen Akronyme verwendet, wenn genau sie uns nicht permanent bei der Umsetzung all unserer Resilienz-Ideen in die Quere kämen. Die Liste ließe sich aus meiner eigenen Erfahrung noch um Alltag, innere Antreiber, volle Terminkalender und hektische Stressmomente ergänzen, was die Sache natürlich nicht einfacher macht. Unmöglich, das lehrt uns jedoch nicht nur das Beispiel der Kinder auf Kauai, ist sie bei Weitem nicht.

Wie können also ganz konkrete Schritte aussehen?

1. Sich der eigenen Resilienz bewusst werden: Keine Bange, dazu braucht es keine langen Testverfahren oder Seminar-Wochenenden. Für den Anfang reicht es, sich mit folgenden Fragen auseinanderzusetzen:
– Welche Herausforderungen und Krisen habe ich in meinem Leben bereits gemeistert?
– Welche meiner Stärken kamen dabei zum Einsatz?
– Wer hat mich unterstützt?
– Worauf bin ich privat/beruflich besonders stolz?

Idealerweise solltet ihr euch dafür 15-20 ruhige Minuten nehmen und die Antworten schriftlich festhalten. So könnt ihr sie euch, sollte eine Person oder Situation eure Resilienz das nächste Mal auf die Probe stellen, immer wieder ins Gedächtnis rufen.

Und wenn ihr nach dieser ersten Reflexion das Gefühl habt, „da geht noch was!“, dann lege ich euch einen Blick ins Lab Sample zur Ressourcenarbeit wärmstens ans Herz!

2. Miteinander in den Austausch kommen: spätestens seitdem ich als Trainerin und Coachin tätig bin, lautet mein Credo „Reden hilft!“. Dies ist natürlich auch mit Blick auf das Thema Resilienz der Fall, denn wir alle können aus unseren Erfahrungen damit und den Austausch darüber im Privaten wie Beruflichen enorm viel lernen. Schnappt euch also eure:n Lieblingsgesprächspartner:in und dreht gemeinsam in Präsenz, am Telefon oder digital eine „Resilienz-Runde“, platziert das Thema bewusst in euren Teammeetings und bei euren Führungskräften oder meldet euch direkt für unser MeetUp am 13. Oktober an. Egal wie – integriert Resilienz bewusst in euren Alltag!

3. Von der Theorie für die Praxis lernen: es gibt zahlreiche Tools und Modelle, auf denen Resilienz nicht unbedingt draufsteht, aber auf jeden Fall drinsteckt. Sie alle können dabei helfen, ein Bewusstsein für sich, den eigenen Gestaltungsraum und die innere Ausgeglichenheit zu schaffen. Ein gutes Beispiel hierfür ist unser zweites Lab Sample in diesem Monat zum Circle of Influence. Lasst euch davon inspirieren und stöbert danach am besten direkt durch unsere weiteren Lab Samples. Ich verspreche euch: ihr werdet fündig werden!

Möglicherweise denkt ihr euch jetzt: „Wie…und das war schon alles?!“

Ja, für den Moment ist das alles. Um Resilienz zu (er)leben, diese Erfahrung werdet ihr selbst machen, braucht es gar nicht viel.

Tok – Tok – Tok – ein letztes Mal blicke ich heute auf mein Stehaufmännchen und es scheint, als würde es mich nicht nur mit einem Lächeln, sondern auch einem bestätigenden Zunicken versehen. Ich lächle zurück, atme tief durch und freue mich auf morgen.

LabSample

Circle of Influence
Ressourcenarbeit

3 Kommentare zu „Auf und nieder, immer wieder – was wir von einem Stehaufmännchen in diesen Zeiten lernen können!“

  1. Sehr schöner Blog. Ich habe ein Stehaufblümchen auf meinem Schreibtisch stehen, dass mich daran erinnert in den Moment zu kommen und daran, dass sich schwierige und arbeitsintensive Aufgaben bewältigen lassen.

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